Urteil vom 17.12.2024 -
BVerwG 2 WD 11.24ECLI:DE:BVerwG:2024:171224U2WD11.24.0
Disziplinarmaßnahme bei fahrlässig herbeigeführten Verkehrsunfall mit Todesfolge
Leitsatz:
Die Dienstpflicht eines Soldaten zur Ersten Hilfe stellt ebenso wie § 323c StGB auf die Situation ex ante ab. Daher muss einem Verunglückten selbst dann die bestmögliche Hilfe geleistet werden, wenn sie schließlich vergeblich bleibt.
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Rechtsquellen
WDO § 38 Abs. 1, § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 62 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 3, § 84 Abs. 1 Satz 1, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 StPO § 331 StGB §§ 222, 323c Abs. 1 SG §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 -
Instanzenzug
TDG Süd 6. Kammer - 14.12.2023 - AZ: S 6 VL 12/23
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 17.12.2024 - 2 WD 11.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:171224U2WD11.24.0]
Urteil
BVerwG 2 WD 11.24
- TDG Süd 6. Kammer - 14.12.2023 - AZ: S 6 VL 12/23
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 17. Dezember 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Wolf und
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Plieske,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- Die Berufung des Soldaten gegen das Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 14. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.
- Der Soldat trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I
1 Das Verfahren betrifft den Vorwurf der im Dienst begangenen fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr sowie der unterlassenen Hilfeleistung.
2 1. Nachdem der ... geborene Soldat den Beruf des Automobilmechanikers erlernt und die Fachhochschulreife erworben hatte, wurde er ... zunächst zum Grundwehrdienst einberufen und im Weiteren als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes zugelassen. Der Soldat bestand die Offiziersprüfung mit "gut" und absolvierte erfolgreich das Studium Maschinenbau unter Verleihung des Titels eines Diplom-Ingenieurs (FH). ... wurde er Berufssoldat. Zuletzt wurde er ... befördert, die zeitliche Voraussetzung für die nächste Beförderung erfüllt er seit März 2020.
3 Nach unterschiedlichen Verwendungen wurde er im September 2019 auf den Dienstposten eines Instandsetzungsstabsoffiziers im Bereich ... im ... in ... versetzt. Vom 24. Juni bis zum 16. Dezember 2021 nahm er am Auslandseinsatz ... in .../Mali teil, wo sich der angeschuldigte Sachverhalt zutrug. Vom 17. Januar bis 31. Juli 2011 war er im Auslandseinsatz ... in ... gewesen.
4 Der Durchschnittswert der "Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten" lag in den Beurteilungen 2017 und 2019 bei "7,20" bzw. "7,40". In der letzten, durch den Leumundszeugen Oberst i.G. A erstellten Beurteilung vom 22. März 2022 erhielt er das Gesamturteil "D+", wobei ihm Entwicklungspotential bis zur Besoldungsgruppe A 15 bescheinigt wird. Er besteche als Führer durch ausgeprägte, weit überdurchschnittliche Fachexpertise. Für eine Verwendung mit besonderer Spezialisierung/Expertise sei er "besonders gut" geeignet, im Übrigen "sehr gut" bzw. "gut" geeignet. Er sei nicht nur fachlich ein leistungsstarker Offizier, der sich im Einsatz grundsätzlich bewährt habe, sondern auch hoch motiviert mit herausragendem Sachverstand und menschlich tadellos. Er habe sich über seinen Arbeitsbereich hinaus einen sehr guten Ruf erarbeitet. Erstinstanzlich hat der Leumundszeuge Oberst i.G. A dieses Leistungsbild bestätigt. Seine dienstlichen Leistungen würde er nach dem früheren Schema mit "7" bewerten.
5 Brigadegeneral B als aktueller nächster Disziplinarvorgesetzter des Soldaten hat in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, er teile die letzte Beurteilung und halte an der Prognose fest, dass der Soldat für einen Dienstposten A 15 geeignet sei. Nach seiner, auf einer Zusammenfassung der Meinungen von Vorgesetzten des Soldaten basierenden Einschätzung sei dieser ein ruhiger und besonnener Charakter. Er sei sehr höflich, zurückhaltend, loyal, weiterhin als Instandsetzungsstabsoffizier und Sachverständiger tätig und agiere ausgesprochen sachgerichtet, korrekt, sehr umsichtig. Zudem sei er bedacht auf die Einhaltung von Regeln. Er versehe seinen Dienst trotz des angeschuldigten Vorfalls, der allein seiner Beförderung entgegengestanden habe, weiterhin verlässlich. Er sei voll einsatzbereit und hinterlege dies auch mit guten Leistungen. Er genieße das Vertrauen seiner Vorgesetzten.
6 Der Soldat ist berechtigt, unter anderem das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold zu tragen. 2018 wurde ihm das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber verliehen und 2011 die Einsatzmedaillen ... der Bundeswehr bzw. der NATO für einen sechsmonatigen Auslandseinsatz in ... 2011 wurde ihm eine Förmliche Anerkennung erteilt und 2018 sowie 2021 wurden ihm Leistungsprämien verliehen.
7 Das Amtsgericht ... hat den Soldaten durch Urteil vom 1. Dezember 2022 wegen fahrlässiger Tötung in Tatmehrheit mit unterlassener Hilfeleistung zu einer Gesamtgeldstrafe von 14 400 € verurteilt. Nach dem aktuellen Zentralregister und dem aktuellen Auszug aus dem Disziplinarbuch ist der Soldat jenseits dessen weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.
8 Er ist verheiratet und Vater eines 2018 geborenen Kindes. Er erhält monatlich Dienstbezüge der Besoldungsgruppe A 13 sowie einen steuerfreien Auslandszuschlag. Seine finanziellen Verhältnisse sind geordnet.
9
2. Nach Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens durch Verfügung vom 29. November 2022 wurde dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 10. Juli 2023 zur Last gelegt:
"Er befuhr am 30.07.2021 in ... (Mali) den Kreuzungsbereich der Hauptstraße zur Klinik '...', ... als Fahrer eines geschützten Toyota LF 200, mit dem amtlichen Kennzeichen ..., gemeinsam mit dem — gesondert verfolgten - Beifahrer des Fahrzeugs, Hauptfeldwebel C, wobei er
1. in Folge einer Außerachtlassung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt übersah, dass sich auf der linken Fahrspur in dieser Fahrbahn der Zweiradfahrer D mit höherer Geschwindigkeit näherte, welcher seine Geschwindigkeit nicht wie nachfolgende Fahrzeuge und Fahrzeuge auf der rechten Spur reduziert hatte, um dem Soldaten als Wartepflichtigen ein Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Obwohl sich der Zweiradfahrer — wie der Soldat hätte erkennen können und müssen — dem von ihm geführten Geländewagen bereits auf kurze Distanz genähert hatte, fuhr er quer zur Vorfahrtstraße weiter in die von dem Zweiradfahrer genutzte Fahrspur bzw. Fahrlinie ein, so dass es zur Kollision kam und der D von seinem Fahrzeug über bzw. vor den PKW abgeworfen wurde und auf der Fahrbahn aufschlug, wo dieser schwer verletzt liegen blieb und unter anderem eine offene Beinfraktur (rechts) erlitt, die zu einem massiven Blutverlust führte sowie
2. es nach der unter 1.) geschilderten Kollision gegenüber dem — wie der Soldat erkannte - schwer verletzten Zweiradfahrer unterließ, Erste-Hilfe-Maßnahmen einzuleiten, obwohl die Leistung derartiger Hilfe aufgrund der konkreten Umstände erforderlich und für ihn sowohl möglich als auch zumutbar war. Der verletzte Zweiradfahrer verstarb am 02.08.2021 trotz medizinischer Amputation des rechten Beines und einer intensivmedizinischen Versorgung an den Folgen dieses Verkehrsunfalls in einem örtlichen Krankenhaus. "
10 3. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten mit Urteil vom 14. Dezember 2023 in den Dienstgrad eines Hauptmanns der Besoldungsgruppe A 12 herabgesetzt und die Wiederbeförderungsfrist auf zwei Jahre verkürzt.
11 a) Der Sachverhalt stehe fest aufgrund der Videoaufzeichnung, des umfassenden und glaubhaften Geständnisses des Soldaten sowie des durch das Amtsgericht mit Urteil vom 1. Dezember 2022 bestätigten Strafbefehls vom 15. Juli 2022.
12 b) Der Soldat habe ein Dienstvergehen begangen, weil er in Ausübung des Dienstes durch die fahrlässige Tötung und die unterlassene Hilfeleistung gegen die Pflicht zum treuen Dienen und gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG verstoßen habe. Da er nach den auch hinsichtlich des inneren Tatbestands bindenden Feststellungen des Strafgerichts bezüglich der Tötung fahrlässig, im Übrigen vorsätzlich gehandelt habe, liege schuldhaftes Verhalten vor.
13 c) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme bilde bei der Verursachung eines während einer Dienstfahrt fahrlässig begangenen Verkehrsunfalls, bei dem ein Mensch zu Tode komme, die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Auf der zweiten Stufe trete wesentlich erschwerend die unterlassene Hilfeleistung hinzu. Erschwerend wirkten zusätzlich die Vorgesetzteneigenschaft und das Bekanntwerden des Fehlverhaltens in der Öffentlichkeit. Diese Umstände würden eine Dienstgradherabsetzung im mittleren Bereich gebieten. Mildernd wirkten demgegenüber die Umstände am Unfallort. Auch wenn sie noch keine seelische Ausnahmesituation begründeten, erlangten sie Bedeutung. Ebenso spreche für den Soldaten, dass die Tat persönlichkeitsfremd gewesen sei. Hinzu kämen die beiden Leistungsprämien, die Auszeichnungen und die auch durch die förmlichen Anerkennungen bescheinigten, durchweg im oberen Drittel liegenden Leistungen, auch wenn sie keinen klassischen Milderungsgrund in Form einer Nachbewährung begründeten. Denn es fehle an einer deutlichen Leistungssteigerung sowie an der Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus. Für den Soldaten sprächen schließlich sein umfassendes Geständnis sowie seine Reue und Einsicht. Da die Milderungsgründe, umso gewichtiger sein müssten, je schwerer das Dienstvergehen wiege, genügten die entlastenden Umstände wegen der unterlassenen Hilfeleistung zwar nicht, von der Dienstgradherabsetzung als Ausgangspunkt abzuweichen, sie jedoch auf eine Stufe zu beschränken und dies auf die höhere der möglichen Besoldungsgruppe. Wegen der andauernden psychischen Belastung des Soldaten sei die Wiederbeförderungsfrist zu verkürzen.
14 4. Mit der unbeschränkt eingelegten Berufung begehrt der Soldat wegen des Vorliegens einer Vielzahl von Milderungsgründen zu seinen Gunsten von der Regelmaßnahme abzuweichen.
15 a) Er habe sich mit seinem Fahrzeug langsam in die Kreuzung hineingetastet und sei erst angefahren, nachdem die von links kommenden Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit reduziert hätten. Dabei habe er den schnell herannahenden Rollerfahrer zu spät erkannt. Die Verkehrsführung vor Ort sei jedoch gefährlich gewesen.
16 Das Unfallopfer sei zudem sehr schnell gefahren, habe keine Schutzkleidung getragen und an einer Sehbehinderung gelitten. Unbekannt sei zudem der technische Zustand des Fahrzeugs geblieben. Dem tragischen Unfall liege ein typisches Augenblicksversagen und auf Seiten des Soldaten liege ein leichterer Grad an Fahrlässigkeit zugrunde. Zudem seien sowohl der Transport des Unfallopfers ins Krankenhaus als auch dessen medizinische Versorgung nicht lege artis erfolgt. Er sei auf einem bloßen Gestell in ein Geländefahrzeug geschoben worden, dem es an medizinischer Ausstattung gefehlt habe. Die Zeugin Oberstabsarzt E habe denn auch berichtet, das Hauptproblem nach der Operation sei der Blutverlust, die mangelhafte klinische Versorgung mit Blutkonserven und kreislaufstabilisierenden Medikamente gewesen. Die Vernehmung der Zeugin F bestätige zudem, dass die medizinische Versorgung nicht europäischem Standard entsprochen habe.
17 b) Zu Anschuldigungspunkt 2 habe der Soldat bereits betont, dass er die Unfallsituation als bedrohlich empfunden habe. Dem entspreche die Aussage des Zeugen G. Deshalb seien die Soldaten seinerzeit auch gebeten worden, wieder ins Fahrzeug zu steigen. Auch die Aussage der Zeugin F bestätige, dass am Unfallort eine aggressive und bedrohliche Stimmung bestanden habe. Er sei zum ersten Male in seinem Leben in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen und habe unter Schock gestanden.
18 Es sei wertungsmäßig angemessen, für Fälle leichter Fahrlässigkeit entweder eine niedrigere Regelmaßnahme als eine Dienstgradherabsetzung anzusetzen oder sie auf der zweiten Bemessungsstufe mildernd zu berücksichtigen. Obwohl der Vorfall den Soldaten noch heute psychisch stark belaste, erbringe er hervorragende Leistungen. Mildernd wirke auch, dass er ohne den Vorfall bereits vor nahezu vier Jahren hätte befördert werden können, womit faktisch bereits eine Degradierung vorliege.
19 5. Wegen der Einzelheiten zur Person des Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der in das Verfahren eingeführten Urkunden und Beweismittel auf das erstinstanzliche sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.
II
20 Die zulässige Berufung ist unbegründet. Da sie unbeschränkt ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (1.), diese rechtlich zu würdigen (2.) und unter Berücksichtigung des zugunsten des Soldaten anzuwendenden Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (3.). Danach hat die erstinstanzlich ausgeurteilte Disziplinarmaßnahme Bestand.
21 1. In tatsächlicher Hinsicht stehen die angeschuldigten Verhaltensweisen aufgrund des die tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls bestätigenden Urteils des Amtsgerichts nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindend fest. Sich von ihnen zu lösen, besteht kein Anlass, da weder der Soldat dafür Gründe vorgetragen hat noch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der dortigen Tatsachenfeststellungen bestehen (BVerwG, Urteil vom 21. November 2024 - 2 WD 10.24 - juris Rn. 25). Ergänzend und ohne dass dies zu einem Widerspruch mit der amtsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen führte, ist festzustellen, dass auf der Straße, auf der der Unfall geschah, ausweislich der Videoaufzeichnung nur wenige Meter vor und nach dem Unfallort ein gekennzeichneter Fußgängerüberweg bestand.
22 2. Der Soldat hat damit nach § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen begangen.
23 a) Gegen die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG in Gestalt der Pflicht zur Loyalität der Rechtsordnung gegenüber, insbesondere zur Wahrung der Strafgesetze (BVerwG, Urteil vom 21. November 2024 - 2 WD 10.24 - juris Rn. 36), hat er durch die fahrlässige Tötung nach § 222 StGB verstoßen.
24 aa) Das Verhalten des Soldaten war für den Tod des D ursächlich im Sinne des § 222 StGB. Es war die conditio sine qua non für den Eintritt des Todes des D in seiner konkreten Gestalt. Die von der Verteidigung dagegen vorgetragenen zusätzlichen Umstände wie fehlende Schutzkleidung - wobei offen ist, ob das Verkehrsunfallopfer sie nach der Vorschriftenlage in Mali hätte tragen müssen –, Vorerkrankungen (Bluthochdruck, Herzprobleme), unprofessioneller Transport und unzureichende medizinische Versorgung (fehlende Blutkonserven, fehlende kreislaufstabilisierende Medikamente) stehen einer Zurechnung dem Soldaten gegenüber nicht entgegen. Denn diese nachgelagerten Umstände knüpfen (erst) an dessen Vorverhalten an (vgl. Rönnau/Saathoff, Jus 2024, 923 <926>). Bei einem fahrlässigen Erfolgsdelikt wie einer fahrlässigen Tötung besteht die Kausalität auch dann fort, wenn der Erfolg bei voneinander unabhängigem Handeln mehrerer Personen erst durch die Gesamtheit der Handlungswirkungen kumulativ herbeigeführt wird (Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, vor § 13 Rn. 32 ff.; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 4 Rn. 21 sowie Rn. 29 ff.).
25 bb) Die Todesfolge ist dem Soldaten auch zurechenbar. Sie war nicht derart atypisch, dass sich eine Zurechnung des Todeseintritts verböte, sondern vorhersehbar. Das setzt voraus, dass der Tod als Folge einer Handlung nicht außerhalb aller Lebenserfahrung liegt und dass der Täter dies nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen in der konkreten Situation, in der er handelte, voraussehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1992 - 5 StR 34/92 - NJW 1922, 1708 <1709>). Bei einem Verkehrsunfall in Mali kommt es nicht auf die europäischen Lebensverhältnisse, sondern auf die dort maßgeblichen Umstände an. Vor diesem Hintergrund war die Gefahr, dass ein bei einem Verkehrsunfall schwer verletzter und stark blutender Motorradfahrer bei den in Mali herrschenden medizinischen Betreuungsmöglichkeiten nicht gerettet werden könnte, erkennbar. Die in Rede stehenden Vorerkrankungen des Unfallopfers waren auch nicht außergewöhnlich.
26 cc) Der Soldat hat den Tod des D fahrlässig verursacht. Denn er hat objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen und hätte die damit verbundene Rechtsgutverletzung nach seinen subjektiven Kenntnissen vorhersehen und vermeiden können (BVerwG, Urteile vom 4. Juli 2019 - 2 WD 20.18 - juris Rn. 54 und vom 11. Mai 2023 - 2 WD 12.22 - juris Rn. 65; Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025 § 15 Rn. 20). Unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt übersah er den sich auf der linken, vorfahrtsberechtigten Fahrspur nähernden Zweiradfahrer (vgl. Seite 2 des Strafbefehls des Amtsgerichts ...). Die dadurch verursachte Rechtsgutverletzung war subjektiv auch vorhersehbar und vermeidbar. Dem entspricht, dass er sich in der Berufungsverhandlung dahingehend eingelassen hat, gewusst zu haben, dass die medizinische Versorgung in Mali nicht mit der europäischen vergleichbar ist.
27 b) Der Senat teilt nicht die Rechtsansicht des Amtsgerichts, dass der Soldat durch das angeschuldigte Verhalten zudem eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB begangen hat. Denn das Unfallgeschehen und das daran anschließende Verhalten des Unfallverursachers bilden eine in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Handlungseinheit (Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB), die nicht in mehrere Taten aufgespalten werden kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 24. März 2022 - 1 Ws 135/22 - NStZ-RR 2022, 317 <317>). Dabei umfasst der mit der Tötung eines Menschenlebens verbundene Tatvorwurf des § 222 StGB den Vorwurf, dieses Menschenleben durch unterlassene Hilfeleistung gefährdet zu haben, so dass die Strafbarkeit nach § 323c StGB als subsidiäres Delikt im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktritt (BGH, Urteile vom 10. Juni 1952 - 2 StR 180/52 - BGHSt 3, 65 <68>, vom 23. März 1993 - 1 StR 21/93 - BGHSt 39, 164 <166> und vom 20. Januar 2000 - 4 StR 365/99 - juris Rn. 5).
28 Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen liegt gleichfalls nicht vor. Zwar hatte der Soldat als Unfallverursacher eine rechtliche Verpflichtung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB den Tod des Unfallopfers durch Erste-Hilfe-Maßnahmen nach Möglichkeit abzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1986 - 4 StR 150/86 - BGHSt 34, 82 <84>). Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass dieses Unterlassen ursächlich für den Tod des Unfallopfers gewesen ist. Denn die sachverständige Zeugin Oberstabsarzt E hat erklärt, dass der Patient ihres Erachtens wohl auch bei ordnungsgemäß durchgeführter Erster Hilfe aufgrund seiner schweren Verletzung verstorben wäre.
29 c) Mit seinem Verhalten hat der Soldat gleichwohl gegen die Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 SG) verstoßen, denn er hat entgegen der ihn bindenden Weisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 2021 - 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 24) in Form der "Standing Operating Procedures (SOP) 04-300 Road Movements" vom 25. Mai 2021 (EUTM SOP 04-300) an einem von ihm im Auslandseinsatz in Ausübung des Dienstes und jenseits einer kriegerischen Auseinandersetzung verletzten Menschen keine Erste Hilfe geleistet.
30 aa) Die Aktivität des Soldaten beschränkte sich darauf, Hauptfeldwebel C mit der Anforderung ärztlicher Hilfe zu beauftragen, bzw. wie von ihm in der Berufungshauptverhandlung behauptet, zusätzlich noch eine WhatsApp Nachricht an das Hauptquartier abzusetzen. Ausweislich der in der Berufungshauptverhandlung abgespielten Videoaufzeichnung hat er in den etwa sieben Minuten bis zum Eintreffen des bulgarischen Rettungsteams (Frau Leutnant F und Assistentin) nicht ansatzweise Anstrengungen unternommen, mit dem Unfallopfer persönlich in Kontakt zu treten, geschweige denn, dessen offensichtlich starke Blutung am Unterschenkel zu stillen. Dass eine medizinische Erstversorgung ihm technisch möglich gewesen wäre, steht fest, da das Fahrzeug mit einem handelsüblichen Verbandkasten ausgestattet war und er nach eigener Einlassung - wie der Kamerad C - über ein Health Pack verfügte. Dies schloss auch ein Tourniquet, also ein Abbindesystem zur Blutstillung ein. Zudem hat der Soldat sich in der Berufungshauptverhandlung dahingehend eingelassen, vor dem Einsatz auch eine Einweisung in Erster Hilfe bekommen zu haben und als Ersthelfer Alpha ausgebildet zu sein.
31 bb) Die Erste Hilfe war dem Soldaten auch möglich und zumutbar. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Soldat sich weder in einem Schockzustand (1) noch in einer Bedrohungssituation befunden hat, die seinem Verhalten die disziplinare Relevanz nehmen oder sie jedenfalls reduzieren würde (2). Wegen der Einlassung des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung, seine Erfahrungen beim ...-Einsatz habe er auf den Mali-Einsatz übertragen und sich deshalb eher um sich und Herrn Hauptfeldwebel C gekümmert, drängt sich auf, dass ihn Furcht vor persönlicher Gefahr motiviert hat. Nicht nur seine erstinstanzliche Aussage, er habe Angst um sich und den angeschlagenen Hauptfeldwebel C gehabt, bestätigt dies, sondern auch die Aussage der Zeugin Oberstabsarzt E. Denn sie hat ausgesagt, der Soldat sei aufgrund seines ... Einsatzes wohl eher für einen afghanischen Einsatz ausgebildet worden und dort wäre oberste Priorität gewesen, erstmal die Lage abzusichern, dann den Eigenschutz vorzunehmen und dann wäre alles andere gekommen. Dies wirkt jedoch nicht entschuldigend, wenn die soldatische Pflicht wie vorliegend verlangt, die Gefahr zu bestehen (§ 6 WStG).
32 (1) Die Einschätzungen der Disziplinarvorgesetzten, der Soldat habe seinerzeit möglicherweise unter Schock gestanden, ist ohne Belang, weil sie nichts aus eigener Wahrnehmung über dessen Zustand aussagen konnten. Auch die Aussage der in der Berufungshauptverhandlung vernommenen Zeugin Oberstabsarzt E vermittelt dafür in tatsächlicher Hinsicht keine ausreichenden Anhaltspunkte. Ein Unfallschock, bei dem ein bewusstes, einsichtiges Handeln vorübergehend ausgeschlossen ist, ist sehr selten und nur unter außergewöhnlichen äußeren und inneren Bedingungen bei Vorliegen entsprechender Anzeichen anzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1966 - II ZR 47/64 - VersR 1967, 29; OLG Saarbrücken, Urteil vom 31. Juli 2024 - 5 U 102/23 - juris Rn. 28). Solche Anzeichen werden auch durch die Aussage der Zeugin E nicht belegt. Zwar hat sie ausgesagt, nach ihrer Meinung könnten beide Soldaten - der Soldat und Hauptfeldwebel C - seinerzeit unter Schock gestanden haben. Auch habe der Soldat an dem Tag anlässlich einer Besprechung am Tisch mit seinen Fingern "Luftklavier" gespielt, was ein Anzeichen dafür gewesen sein könnte, dass dieser etwas erlitten habe, was ihn psychisch mitgenommen habe. Jedoch hat sie auch ausgeführt, dies besage über dessen Dienstfähigkeit nichts. Sie habe ihn am Tag des Unfalls erstmals nachmittags gesehen, um das weitere Vorgehen zu besprechen und es wäre ein rationaler Austausch möglich gewesen, auch wenn man die Betroffenheit bei beiden Soldaten gemerkt habe. Dass die Betroffenheit des Soldaten nicht den Grad eines Schocks erreicht hat, folgt zudem aus dessen durch die Videoaufnahme dokumentiertes Verhalten. Danach konnte er nach dem Unfall noch mit anderen rational kommunizieren, insbesondere Hauptmann C anweisen, Hilfe zu rufen, und versuchen, sich mit der malischen Sicherheitskraft zu verständigen. Auch konnte er noch nach dem Unfall eine WhatsApp Nachricht versenden und das Unfallfahrzeug selbst wegfahren.
33 (2) Ebenso wenig bestand nach dem Unfall in den sieben Minuten bis zum Eintreffen des bulgarischen Rettungsteams eine Bedrohungssituation. Die Videoaufzeichnung lässt dies nicht erkennen, insbesondere ist die Zahl an Betrachtern des Geschehens überschaubar. Erst nach dem Eintreffen erhöht sich deren Zahl und die Aufforderung an den Soldaten durch einen Einheimischen, sich in das Unfallfahrzeug zu setzen, erfolgte ebenfalls erst, nachdem ärztliche Hilfe eingetroffen war. Zudem hat selbst der erst später zum bulgarischen Rettungsteam hinzugestoßene Zeuge Stabsfeldwebel H ausweislich der in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussage vom 1. August 2021 erklärt, er habe sich zu keiner Zeit bedroht gefühlt.
34 cc) Die Pflicht zu Erster Hilfe ist auch nicht deswegen entfallen, weil sie rückblickend - expost - betrachtet voraussichtlich das Leben des Unfallopfers nicht gerettet hätte. Denn die Dienstpflicht zur Ersten Hilfe stellt ebenso wie § 323c StGB auf die Situation exante ab, in der ein Soldat auf ein verletztes Unfallopfer trifft. Daher muss einem Verunglückten selbst dann die bestmögliche Hilfe geleistet werden, wenn sie schließlich vergeblich bleibt und sich die befürchtete Folge des Unglücks aus der Rückschau als unabwendbar erweist (BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 96/84 - BGHSt 32, 367 <381> und Beschluss vom 15. September 2015 - 5 StR 363/15 - NStZ 2016, 153 <153>).
35 3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
36 a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". In Fällen eines fahrlässig verursachten Verkehrsunfalls mit Todesfolge bildet eine Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, wenn in dienst- oder strafrechtlicher Hinsicht zusätzliche erschwerende Umstände vorliegen. In disziplinarrechtlicher Hinsicht wirkt dabei erschwerend, dass ein Soldat - wie vorliegend - im Rahmen einer Dienstfahrt fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht (BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 2018 - 2 WD 12.18 - juris Rn. 34 ff. und vom 23. Januar 2020 - 2 WD 1.19 - juris Rn. 20. Zu sonstigen Fallkonstellationen: BVerwG, Urteile vom 25. August 2017 - 2 WD 2.17 - juris Rn. 52 ff., vom 10. März 2022 - 2 WD 7.21 - BVerwGE 175, 118 Rn. 68 und vom 22. Juni 2023 - 2 WD 10.22 - juris Rn. 27). Bereits auf dieser Bemessungsebene den Grad an Fahrlässigkeit zu berücksichtigen, widerspräche der Ratio der mit der Zweistufentheorie angestrebten Typisierung (BVerwG, Urteil vom 25. August 2017 - 2 WD 2.17 - juris Rn. 51). Denn die Beantwortung, ob eine leichte, mittlere oder grobe Form von Fahrlässigkeit vorliegt, verlangt eine einzelfallbezogene Würdigung, die regelmäßig auf der zweiten Bemessungsstufe erfolgt.
37 b) Dort ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet. Danach ist die gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 62 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 WDO zulässige Herabsetzung in den Dienstgrad eines Hauptmanns der Besoldungsgruppe A 12 und die nach § 62 Abs. 3 Satz 3 WDO zulässige Verkürzung der Wiederbeförderungsfrist auf zwei Jahre jedenfalls nicht unangemessen.
38 aa) Mildernd wirken die Unrechtseinsicht und Reue des Soldaten, den nach glaubhafter Bekundung das Dienstvergehen bis in die Gegenwart hinein psychisch belastet. Mildernd wirken zudem dessen dienstliche Leistungen, die nach Aussage des aktuellen Disziplinarvorgesetzten mit "7" zu bewerten sind und durch Auszeichnungen sowie zwei Auslandseinsätze unterstrichen werden. Da sie jedoch weder eine signifikante Leistungssteigerung erkennen lassen noch hervorragende Leistungen über längeren Zeitraum vorliegen, fehlt es an einer Nachbewährung (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 52 m. w. N.).
39 Zu Gunsten des Soldaten ist zu berücksichtigen, dass die Unfallverursachung nur auf einem leichten Verschulden beruhte. Dass er den Motorradfahrer übersah, war durch den hektischen Straßenverkehr und die Notwendigkeit der Querung mehrerer Fahrbahnen ohne Signalanlage mitbedingt. Dass der Soldat sich mit seinem Fahrzeug langsam in die Kreuzung tastete, zeigte Gefahrenbewusstsein und spricht gegen eine grobe Fahrlässigkeit.
40 Erheblich mildernd tritt das Mitverschulden des Unfallopfers hinzu (BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2021 - 2 WD 21.20 - BVerwGE 173, 29 Rn. 29), das nach den amtsgerichtlichen Feststellungen seinerzeit mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, obwohl jedenfalls der vor dem Unfallort vorhandene Fußgängerüberweg zur Vorsicht hätte veranlassen müssen. Zudem steht nach der Aussage der Zeugin Oberstabsarzt E zu vermuten, dass er auf einem Auge erblindet gewesen ist und seine Reaktionsmöglichkeiten dadurch reduziert waren. Soweit hier Unsicherheiten bestehen, legt der Senat diesen zugunsten des Soldaten streitenden Umstand nach dem in-dubio-Grundsatz zugrunde, weil für diesen Umstand durch die Aussage der Oberstabsärztin E hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 - 2 WD 9.19 - juris Rn. 18 m. w. N.).
41 Eine mildernd einzustellende überlange Verfahrensdauer, die allenfalls für den zwischen dem Tatzeitpunkt (30. Juli 2021) und dem Erlass der Einleitungsverfügung (29. November 2022) liegenden Zeitraum ab Kenntniserlangung der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom Dienstvergehen nach drei Monaten in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2023 - 2 WD 10.22 - juris Rn. 48 m. w. N.), liegt nicht vor. Denn der im August 2021 erfolgten Mitteilung der Wehrdisziplinaranwaltschaft an die Staatsanwaltschaft folgte ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, das erst im Juli 2022 zum Erlass eines Strafbefehls führte. Der Ausgang des mit den Vorwürfen in der Einleitungsverfügung sachgleichen strafrechtlichen Verfahrens wäre somit ohnehin abzuwarten gewesen (BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 2019 - 2 WD 25.18 - juris Rn. 25, vom 14. Oktober 2021 - 2 WD 26.20 - juris Rn. 54 und vom 2. Mai 2024 - 2 WD 12.23 - juris Rn. 47).
42 bb) Diese für eine Abweichung von der Regelmaßnahme nach unten streitenden Faktoren werden jedoch durch erschwerende Umstände kompensiert, die bei einer Gesamtwürdigung die vom Truppendienstgericht verhängte Disziplinarmaßnahme, deren Verschärfung das Verschlechterungsverbot entgegensteht, jedenfalls nicht unangemessen erscheinen lassen.
43 Zu den belastenden Umständen zählt zunächst die unterlassene Hilfeleistung gemäß Anschuldigungspunkt 2, auch wenn sie nicht für den Tod des Unfallopfers maßgeblich geworden ist. Denn der Zweck der Erste-Hilfe-Ausrüstung und Ersthelfer-Ausbildung des Soldaten bestand gerade darin, dass er im Unglücksfall entsprechend den dienstlichen Vorschriften Erste Hilfe leistete. Dies gilt umso mehr, als der Soldat im Auslandseinsatz in besonderer Weise die Bundesrepublik Deutschland repräsentierte und er nicht nur eine ihn zu vorbildlichem Verhalten verpflichtende Vorgesetztenstellung innehatte (BVerwG, Urteil vom 21. November 2024 - 2 WD 10.24 - juris Rn. 44), sondern als Stabsoffizier in dieser Vorgesetztenstellung auch exponiert war (BVerwG, Urteil vom 21. November 2019 - 2 WD 31.18 - juris Rn. 34). Hinzu treten neben dem erheblichen Leiden des Unfallopfers im Zeitraum zwischen dem Unfall und dem Tod auch die erheblichen Folgen des Dienstvergehens für die Familie des Unfallopfers, namentlich für dessen Ehefrau und seine sechs Kinder, die nicht nur in emotionaler, sondern auch in finanzieller Hinsicht auf die Unterhaltsleistungen des D angewiesen war. Damit verbunden waren auch nachteilige Auswirkungen für die Bundesrepublik Deutschland, die für die finanziellen Folgen des fahrlässig herbeigeführten Unfalls aufkommen musste.
44 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.